In einem kleinen, aber liebevoll eingerichteten Zimmer, umgeben von Andenken und Erinnerungen, sitzt Anna Fuhrmann in ihrem Sessel. Auf ihrem Bett liegt der schwarz-weiß gestreifte Schal, sorgfältig gefaltet. Auf der anderen Seite des Raumes steht ein braunes Regal, auf dem sich zwischen Familienfotos in der ersten Reihe eine Tasse befindet – nicht irgendeine Tasse, sondern eine, die das Emblem der Eintracht ziert und ein Ausdruck ihrer Zugehörigkeit für den Verein ist. Anna Fuhrmann ist mit 98 Jahren das älteste Mitglied von Eintracht Frankfurt, eine Ehre, die sie mit Stolz trägt.
Kindheit in Schlüchtern
Anna wurde im Juni 1925 als sechstes Mädchen einer Großfamilie in Schlüchtern geboren. Nur wenige Monate, nachdem das Frankfurter Stadion eingeweiht worden war. Ihre Kindheit erlebte sie ebenfalls dort mit ihren fünf Schwestern und zwei Brüdern, die allerdings schon im Kindesalter verstarben. Annas junge Jahre waren vom Krieg überschattet. Nach ihrer Schulzeit musste sie erst in einem Haushalt helfen und kam dann nach Frankfurt, um in der Rüstungsindustrie zu arbeiten. Diese Jahre hat Anna in keiner schönen Erinnerung behalten: „Ich habe viel gearbeitet und wurde sehr schlecht bezahlt. Damals war ich sechzehn und blieb dort, bis der Krieg vorbei war. Dann kam ich nach Steinau und habe Handschuhe genäht.“
Zu dieser Zeit war Annas zukünftiger Mann Panzerfahrer und die beiden wussten noch nicht, was das Schicksal für sie bereithalten würde: „Ich habe meinen Mann am Acisbrunnen in Schlüchtern kennengelernt“, sagt sie und ihre Augen funkeln. „Da war er mit seiner Schwester und seinem Freund. Auf einmal gab es ein bisschen Musik und da hat er mit mir getanzt. Damals war er noch in französischer Gefangenschaft und musste noch einmal weg. Ein Jahr später kam er dann wieder und stand plötzlich vor meiner Tür.“ Diese zufällige Begegnung am Brunnen hat dazu geführt, dass Anna heute eine große Familie hat. „Nun habe ich zwei Kinder, eine Tochter, einen Sohn und Enkelkinder, sechs an der Zahl, und jetzt bin ich auch noch Uroma von vier Urenkeln“, sagt Anna mit einem Lächeln, das verrät, wie stolz sie auf ihre große Familie ist.
Liebe zur Eintracht entfacht
Ihre Liebe zu Eintracht Frankfurt wurde durch ihren Sohn Bernd entfacht, der seine Begeisterung für den Verein schon früh auslebte: „Der Bernd, der hatte in seinem Zimmer immer die Poster von den Spielern hängen.“ Anna erinnert sich noch genau an eines ihrer Highlights mit der Eintracht: „Einmal war Jürgen Grabowski in Schlüchtern bei einer Geschäftseröffnung und hat Autogramme gegeben. Und da bin ich mit meinen zwei Enkelkindern hin. Ich hatte vorher eine Eintracht-Puppe gestrickt, sogar mit einem passenden Eintracht-Schal. Und dann habe ich zu den Kindern gesagt, das überreicht ihr jetzt dem Grabowski. Die beiden haben sich so geschämt und sich nicht getraut, er hat das gehört und kam daraufhin zu uns. Dann musste ich die Puppe übergeben und wir haben uns alle so gefreut. Das war toll.“
Ihr Sohn Bernd war es auch, der ihr vor fünf Jahren die Mitgliedschaft zu Weihnachten schenkte. Bernd erzählt: „Vor fünf Jahren gab es kurz vor Weihnachten eine Aktion von Eintracht Frankfurt, dass man eine Mitgliedschaft verschenken könne. Und das habe ich dann, weil meine Mutter jahrelanger Fan ist und ich wusste, wie sehr sie sich darüber freuen würde, gemacht.“ Nun blickt Anna mit stolzen 98 Jahren auf eine lange Zeit als Fußballfan und mittlerweile auch auf ihre fünfjährige Mitgliedschaft zurück. Ihre Begeisterung blieb über all die Jahre bestehen. Die Spiele hat sie bis jetzt zwar nur vor dem Fernseher verfolgt und das Stadion nur bei einer Führung gesehen, aber um ihren Verein zu unterstützen, verzichtet sie auch mal auf etwas Schlaf: „Wenn die Spiele abends so spät sind und ich dann zuschaue, werde ich manchmal so müde. Und wenn es dann 1:0 oder 2:0 steht, liege ich im Bett und kann nicht schlafen, weil ich nicht weiß, wie das Spiel ausgegangen ist. Also stehe ich wieder auf und schaue es zu Ende. Meistens rufe ich dann auch nochmal bei Bernd an und wir reden über das Spiel.“
Nach dem Europapokal-Sieg habe ich beim Frühstück meinen Schal getragen, damit alle im Haus wussten, dass wir gewonnen haben.
Anna Fuhrmann
Über 50 Jahre ist sie nun schon Fan und merkt an: „Die schönsten Siege sind immer die gegen Bayern. Ein Zimmer weiter wohnt ein Bayern-Fan“, sie unterbricht den Satz, winkt ab und lacht: „Hör mir auf!“ Dann beginnt Anna Fuhrmann wieder zu strahlen und erzählt von dem Europapokal-Endspiel, das sie von ihrem Sessel aus verfolgte, und über ihre Freude, als die Eintracht gewann. „Die Pokalsiege sind natürlich auch wunderschön. Nach dem Europapokal-Sieg habe ich beim Frühstück meinen Schal getragen, damit alle im Haus wussten, dass wir gewonnen haben.“
In ihrer langen Zeit als Eintracht-Fan hat Anna bereits einige Spieler und Trainer gesehen und miterlebt: „Mein Lieblingsspieler ist derzeit unser Tormann Kevin Trapp. Und der andere, wie heißt er noch gleich? Sebastian Rode! Da war ich so traurig, als er bei seinem letzten Spiel geweint hat, weil er wusste, dass es bald vorbei ist. Das hat mir so wehgetan.“
Mittlerweile lebt sie schon seit vier Jahren im betreuten Wohnen in Schlüchtern und feiert im September ihren 99. Geburtstag. „Bei meinem letzten Geburtstag meinte ich spaßeshalber, naja, und wenn ich 100 werde, dann lädt mich Peter Fischer ein und wir fahren zusammen ins Stadion.“ Dann würde Anna Fuhrmann ihren Schal noch einmal ausführen und in hohem Alter ein Spiel nicht nur aus ihrem Sessel, sondern aus einem Stadionsitz schauen können.